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Marma-Yoga als Präventionsangebot

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Über dieses Skript

Vielleicht im "Physio-Zusammenhang" spannend, weil Marma-Yoga
sehr pragmatisch und nicht esoterisch arbeitet.


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Wirklich interessant.

Millionen Deutsche dehnen und strecken sich beim Yoga. Die Krankenkassen zahlen dafür mehr als 100 Millionen Euro im Jahr - und fördern auch Humbug.

Regen prasselt gegen die Fenster der Turnhalle im westfälischen Ibbenbüren. Die acht Frauen auf den Matten lassen sich davon nicht stören, leises Schnarchen ist zu hören. Angelika Beßler, ihre Yoga-Lehrerin, wartet noch einige Minuten lang. "Danke für eure Bereitschaft", sagt sie dann so sanft, wie sie alles sagt. Die Teilnehmerinnen, die meisten über 60 Jahre alt, wachen auf, reiben sich Hände und Gesicht. Sie singen noch einmal Shanti, Frieden, und rollen dann ihre Matte ein.

90 Minuten sind vorüber, der Kurs war hoffentlich gesundheitsfördernd, offensichtlich entspannend und jedenfalls für einige Teilnehmerinnen sehr billig. Die gesetzliche Krankenkasse übernimmt einen Teil der Gebühren, die Versicherten brauchen nicht mal ein Rezept.

Beßler, 54, steht dem Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland vor, mit 3300 Mitgliedern einer der größeren Verbände. Einmal in der Woche unterrichtet sie in der Turnhalle des kirchlichen Kindergartens von Ibbenbüren. Ihre anderen Kurse gibt sie zu Hause. Sie hat einen Raum leergeräumt, ein Buddha und eine Sonnenblume schmücken die 35 Quadratmeter. Manchmal ist die Waschmaschine im Nebenzimmer zu hören.

Ob auf dem Land oder in den Metropolen - in Deutschland gibt es keine Stadt mehr, in der nicht in privaten Räumen, der Volkshochschule, Sportvereinen, Fitness- oder Yoga-Studios die Matten ausgerollt werden. Fünf Millionen Menschen üben, wie es korrekt heißt, hierzulande Yoga, die meisten sind Frauen.

"Yoga ist ein Lebensweg", sagt Trainerin Beßler. Das hat für die, die daran verdienen wollen, den schönen Effekt: Der Yoga-Schüler kommt nie ans Ziel und kann auf dem langen Weg eine Menge Geld ausgeben.

Mancher mag sich dem Vorhaben, Geist und Körper in Balance zu bringen, nur in der richtigen Kleidung nähern, zu erwerben im Fachgeschäft. Der Spezialhandel hat auch ein reiches Sortiment an Accessoires im Angebot, Klangschalen und Kopfstandhocker, Kristallanhänger und Kräuter. Geschätzter Jahresumsatz der Branche: 500 Millionen Euro.

Die gesetzlichen Krankenkassen befördern den Boom. Obwohl sie stets über die steigenden Kosten im Gesundheitswesen klagen, geben sie mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr für Yoga-Kurse aus. Verpflichtet sind sie dazu nicht, es handelt sich um eine freiwillige Leistung. Experten sehen in dieser Großzügigkeit vor allem eine Marketingmaßnahme der Versicherungsunternehmen.

"Yoga eignet sich sehr gut zur Entspannung und Erholung, beispielsweise nach einem stressigen Arbeitstag", schreibt etwa die AOK auf ihrer Homepage. Die Kurse gehören zu den beliebtesten Präventionsangeboten. Die Techniker Krankenkasse (TK) schätzt, dass sich 75 Prozent aller Teilnehmer von Entspannungskursen für Yoga entschieden haben.

Zwischen 75 und 160 Euro zahlen die Kassen pro Teilnehmer - und befördern mitunter Geldschneiderei und gesundheitlichen Humbug. In den USA entfachte der renommierte Yoga-Lehrer Glenn Black Anfang des Jahres eine Diskussion um den Nutzen der Verrenkungen, als er in der "New York Times" vor schweren Rückenleiden, Zerrungen und Bänderrissen warnte. In Deutschland hingegen ist der Boom ungebrochen.

Die Angebote sind zahlreich, die Abgrenzungen schwierig. Es gibt Ashtanga-Yoga, Iyengar-Yoga, Vini-Yoga, Bikram-Yoga, Jivamukti-Yoga, Power-Yoga, Tree-Yoga, Lach-Yoga, Gesichts-Yoga, Hormon-Yoga, Yoga für Kinder, Yoga für Schwangere - und vieles andere mehr.

Da ein Yogi danach strebt, neidlos zu sein, spricht niemand von Konkurrenz. Abfällige Bemerkungen werden nur von Insidern gemacht, die auf keinen Fall zitiert werden wollen. Auf der einen Seite stehen die Traditionalisten, die das Yoga der indischen Meister üben. Auf der anderen die modernen, oft amerikanisch beeinflussten Yogis, die Übungen abwandeln und unter neuer Marke verkaufen. Bei vielen Kunden ist gerade dieses Glitzer- und Glimmer-Yoga beliebt.

Die Krankenkassen betonen, vor allem sogenanntes Hatha-Yoga zu fördern, körperorientierte Übungen, wie sie im Westen bevorzugt werden. Die Kassen wollen offenbar dem Vorwurf entgehen, Beitragsgelder an obskure Gurus zu verschleudern. Aber die Versicherungen handeln keinesfalls konsequent.

Kundalini-Yoga etwa gilt als spirituell, die Kursteilnehmer meditieren viel und pflegen den rhythmischen Singsang, die Mantras. "Das fördern wir nicht", heißt es bei TK und DAK. Manche Konkurrenten aber haben offenbar eine andere Haltung. Ulrike Reiche, Vorstand des Kundalini-Vereins 3HO, kennt "Kundalini-Lehrer, die eine Kassenanerkennung haben". Zuweilen unterstützen die Versicherungen auch Jivamukti-Kurse, in denen Schüler blutige Schlachthofszenen zu sehen bekommen. Damit wollen die Lehrer ihre Kursteilnehmer ermuntern, Veganer zu werden.

Dabei lässt sich daran zweifeln, dass Yoga-Kurse, ob mit oder ohne Schlachthofszene, überhaupt bezuschusst werden dürfen. Laut Sozialgesetzbuch sollen die Kassen mit den freiwilligen Leistungen "insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen". Yoga-Lehrer aber sagen, dass sich ihre Teilnehmer die Kurse auch aus eigener Tasche leisten könnten - Yoga ist keine Beschäftigung der Schlechterverdienenden.

Als Nachweis der Qualifikation verlangen die Versicherungen eine staatlich anerkannte Ausbildung in einem Gesundheits- oder Sozialberuf, dazu eine Yoga-Ausbildung von mindestens zwei Jahren Dauer und mit mindestens 500 Stunden.

So steht es auf dem Papier, doch in der Praxis nehmen es die Kassen nicht so genau. Viele Yoga-Lehrer glauben deshalb, dass die Versicherungen zu wenig auf Qualität achten: Es sei schlicht Glück, ob man einen netten Sachbearbeiter erwischt, dem Yoga gefalle und der deshalb die Genehmigung erteile.

Kritische Geister wie der Münchner Rocque Lobo, 71, halten die Yoga-Szene für einen großen Jahrmarkt. Der emeritierte Professor für Sozialarbeit und Sozialpädagogik hat weiße Haare und einen Teint, der an seine indische Heimat Pune erinnert, er spricht bedacht und leise. Lobo studierte Latein, Rhetorik, Philosophie, indische Musik und Yoga in Indien und schrieb schließlich seine Doktorarbeit in München zum Thema "Samkhya-Yoga und spätantiker Geist".

Seine linke Hand liegt auf einem Stapel Bücher. Er hat das gute Dutzend selbst verfasst, die Werke handeln von Yoga und dessen Wirkung auf den Kreislauf, die Muskeln, die Atmung, vom Meditieren. Einige Bücher hat er mit Ordinarien Münchner Universitäten herausgebracht. "Mein Ziel ist es, den medizinischen Nutzen verschiedener Übungen wissenschaftlich nachzuweisen", sagt er.

Doch der Trend gehe in eine andere Richtung, glaubt der Experte. "Was heute angeboten wird, ist oft nur Hokuspokus und hat mit dem indischen Yoga nichts zu tun", sagt Lobo, "es ist Esoterik und dient allein der Selbstfindung der gehobenen Mittelschicht."

Um die Qualifikation der Yoga-Lehrer zu verbessern, konzipierte Lobo einen Master-Studiengang der "Sozialen Arbeit mit Marma-Yoga". Er hatte eine Hochschule als Kooperationspartner gewonnen, doch dann gab es Streit um Formalien bei der Akkreditierung, und die Hochschule zog ihren Antrag zurück.

"Viele wollen den lukrativen Markt der Gesundheitsvorsorge in den Bereichen Wellness und Esoterik belassen", klagt Lobo, "an einer akademisch tief gründenden Yoga-Ausbildung scheint es kein Interesse zu geben." Nun sucht er eine neue Hochschule.

Dass es Berichte über Risiken gibt, wundert ihn nicht. Seit Jahren kritisiert er, dass in vielen Kursen der klassische Yoga-Kopfstand praktiziert wird. "Wer den aber nicht richtig übt", sagt Lobo, "kann dauerhafte Schäden davontragen."
DER SPIEGEL 14/2012

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Ich bedanke mich für den kritisch-aufdeckenden Spiegel-Artikel von vor mittlerweile ein paar Jahren. Marma-Yoga ist eben anders - sollte man denken...
Leider hat sich seit dem Artikel Einiges auf dem Präventions-Markt verändert und zwar lassen mittlerweile die gesetzlichen KKs die Kursanbieter durch die Zentrale Prüfstelle Prävention prüfen.
Die Zertifizierung an sich ist nicht nur recht kompliziert und sehr zeitaufwendig, sondern die Voraussetzungen für die Anerkennung scheinen sich zu Gunsten der Kassen, sprich der Kostenträger verschoben zu haben!
Konkret bedeutet das für mich, dass ich plötzlich aberkannt wurde, also inzwischen scheinbar keine wissenschaftlich anerkannte Gesundheitsbildung mehr unterrichte.
Verrückt, oder?
Marma-Yoga hat keine Lobby und ist nicht dem (esoterisch geprägten!) BDY angeschlossen.

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