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Schmerzphysiologie

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Geschrieben

Deutung und Verständnis von Schmerz ist die Grundlage für fast 80% der physikalischen Therapien, denn nur wenige Krankheitsbilder verlaufen komplett schmerzfrei. Ist kausal gesehen der Schmerz natürlich absolute Alarmsituation im Körper, so kann er oft auch als Vorwarnzeichen oder sogar Therapieanstoß gesehen werden. Grund genug sich mit diesem Thema einmal näher auseinanderzusetzen.



=> Def. Schmerz
Schmerz ist eine subjektive Empfindung, die durch einen effektiven oder drohenden Gewebsschaden ausgelöst wird. Die tatsächliche Wahrnehmung ist abhängig von der genetisch festgelegten Neuromatrix (Reizbarkeitsmuster) des Einzelnen, das heißt wie schnell der Einzelne gegenüber dem Schmerzreiz sensibilisiert.



=> Lokalisationen

Schmerz wird von Patienten individuell und höchst unterschiedlich angegeben. Sehr deutig ist die Unterscheidung zwischen Lokalem Schmerz (Patient kann genaue Lokalisation anzeigen) und den oft diffusen ausstrahlenden Schmerzen.

a) lokal

b1) nicht lokal - fortgeleitet (referred pain)
- Auswirkungen über das gesamte betroffene Dermatom
- Aufgrund Läsionen nicht neuraler Strukturen
- führt zu nicht neuropathischem Schmerz

b2) nicht lokal - projeziert (projected pain)
- Auswirkungen über das gesamte betroffene Dynatom
- Aufgrund Läsionen neuraler Strukturen
- führt zu neuropathischem Schmerz mit Chronifizierungsneigung

=> Reize für Nozizeptoren

Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) können auf die verschiedensten Reize reagieren. Für die Schmerzphysiologie unterscheidet man unter 3 Hauptgruppen der Reize:

chemisch
=> endogen Noxen (zb. Harnstoff)
=> exogene Noxen (zb. Alkohol)

thermisch
=> Wärme
=> Kälte

thermomechanisch (mechano heat nociceptures)

mechanisch
=> Druck
=> Zug

Verteilung: in der Peripherie befinden sich die meisten Nozizeptoren in der Haut >> Gelenk >> Muskel
(daher werden Reizungen der Haut am schnellsten und deutlichsten visualisiert)

=> afferente Schmerzleitung

Haut / Gelenk / Muskel
(Reiz - Stimulus)
|
Aktionspotential
(Transduktion des Reizes in el. Impulse)
|
Afferente Bahn
(Transmission des Reizes)
|
Spinalganglion
(Reizleitung und evtl. Neuropeptidfreisetzung (Substanz-P und CGRP) )


=> schmerzphysiologisch relevante Faserarten:
A-Delta Fasern (schnellleitend)
reagieren vorwiegend auf thermische oder mechanische Reize

C-Fasern (langsamleitend)
reagieren vorwiegend auf chemische Reize

Praktisch bedeutet das, dass Reize wie extreme Temperaturen (Herdplatte ;) oder extreme Läsionen (Verletzungen der Haut) sofort über A-Delta Fasern geleitet werden und dies auch zu sofortiger Reaktion führt. C-Fasern dagegen werden erst durch chemische Reize aktiviert. Diese führen zur Schmerzsensibilisierung aufgrund chemischer Substanzen, wie zum Beispiel die Neurotransmitter, deren Ausschüttung von den Spinalganglien initiiert wird (siehe Schmerzsensation).


=> Verschaltung im Rückenmark

Das Hinterhorn des Rückenmarks wird in Lamina aufgeteilt. Für die Verschaltung von Schmerzreizen sind Lamina I (direkt am Eintritt des peripheren Nerv in die Substatia grisea) und die Lamina V (am Übertritt des Hinterhorns in den RM-Corpus) interessant.

Lamina I: direkte monosynapische Verschaltung thermomechanischer Aktionspotentiale, die über A-Delta (schnell) Fasern geleitet werden. Eintreffende Impulse werden also 1:1 auf aufsteigende RM-Bahnen verschaltet und können sofort über die Neuromatrix wahrgenommen werden. Durch die direkte Verschaltung ist es problemlos möglich den Schmerz genau zu lokalisieren (zb.bei einem akuten Trauma).

Bsp. bei Berührung einer heißen Herdplatte wird ein Wärmereiz sofort als Schmerz wahrgenommen und es kommt zu einer prompten Reaktion.

Lamina V: polysynaptische Verschaltung von C-Fasern (langsam, meist chemisch) geleiteten Reizen an WDR-Interneuronen („wide dynamic range“) im Rückenmark. Erst nach einer Reizsummation werden diese von der Neuromatrix wahrgenommen.


Entstehung der reaktiven Entzündung:

Neurotransmitter - Ausschüttung durch Impulsleitung durch Spinalganglion:

=> Schmerz (Dolor) als Initiator => Ausschüttung von CGRP und Substan P

CGRP: stimuliert Ateriolen
=> Hyperämie (Rubor)
=> Hyperthermie (Calor)


Substanz-P: stimuliert Venolen
=> erhöht Gefäßdurchlässigkeit (Tumor)

Es kommt zu den typischen Entzündungszeichen
=> Dolor (ursächlich) + Calor (ateriell) + Rubor (ateriell) + Tumor (venös) => Functio Laesa (resultativ)


=> Schmerzsensationen



In der Übersicht wird deutlich, dass jede Läsion, egal ob drohend oder effektiv zu einem lokalen Sofortschmerz führt. Ob dieser Wahrgenommen wird ist individuell und richtet sich nach der Art der Läsion und der individuellen Reizschwelle (siehe auch: neurogene Entzündung) Unterschiede zeigen sich erst im weiteren Verlauf. Während drohende Läsionen keine weiteren Symptome zeigen, führen effektive Läsionen über Neurotransmitterausschüttungen zu fortgeleiteten Schmerzen (referred pain), der sich als diffuser Nachschmerz äußert.

=> Periphere Sensibilisierung:
Anpassung der Neuromatrix, wobei ein gleicher adäquater Reiz zu einer deutlicheren Wahrnehmung führt => mehr Schmerz

=> thermisch (Schmerzlinderung durch kühlen, da Inhibition der C-Fasern)
=> bei effektiven Läsionen führt bereits die 37° Körpertemperatur zur Reizung der Thermoceptoren => Ruheschmerz

=> mechanisch (Zuschaltung von „silent nociceptures“ - stille Noziceptoren)
=> mehr Rezeptoren
=> Reizsummation schneller erreicht => frühere/schnellere Wahrnehmung


Neurogene Entzündung:
Nicht jeder Schmerzreiz wird letztlich effektiv wahrgenommen. Zum Beispiel können traumatische oder degenerative Sehnenabrisse (zu wenig Nocizeptoren =>
Nichts desto trotz wird vom Spinalganglion die Neurotransmitter zur chronischen Schmerzentstehung ausgeschüttet (Substanz-P und CGRP).
=> kein Sofortschmerz aber Nachschmerz


Zentrale Sensibilisierung:
Bei zentralen Neuronen wird die Reizschwelle herabgesetzt und auch mechanische Reize benachbarter Strukturen werden (diffus) der gleichen effektiven Läsion zugeordnet

=> Ausbreitung der rezeptiven Felder

=> Allodynie (= erhöhte mechanische Empfindlichkeit außerhalb der Läsion)
=> ursprüngliche Läsion löst weitere entfernte Schmerzen aus
(mechanische Therapie Kontraindiziert!)


Referred Pain:
RP kann durch jegliche neural versorgte Strukturen ausgelöst werden (zb. Gelenke, Muskeln, Bursae, Haut, Periost, ..) - jedoch keine Nervenschädigung(!)

=> kein neuropathischer Schmerz

proximale Strukturen > distale Strukturen
tiefe Strukturen > oberflächliche Strukturen
=> nach distal im gleichen Dermatom ausstrahlender diffuser, brennender, langsam auftretender Schmerz


Projected Pain:
PP ist ein durch Nervenläsionen entstehender, nicht an Dermatom-Grenzen haltender, auch nach proximal austrahlender und deutlich diffuserer Schmerz (im Dynatom verlaufend).

=> neuopathischer Schmerz


Mfg Stephan Schmied

  • 3 weeks later...
  • 4 months later...
Geschrieben

Hier vielleicht noch ein einfaches Beispiel, um Patienten deutlich zu machen, warum der Schmerz nicht immer da ist, wo seine Ursache ist: Ich vergleiche den Körper kurzfristig mit einem Auto ;-) : wenn bei einem Auto die Öllampe leuchtet ( ein Warnsignal analog des Warnsignals Schmerz im Körper) dann wechselt der Fahrer ja auch nicht die Öllampe aus sondern er weiß, dass die Ursache für das Leuchten ganz woanders liegt. Man kann das Ganze noch weiterspinnen, indem man sagt, wenn ich jetzt die Öllampe zuklebe ( analog: eine analgetische Spritze setze) , sehe ich zwar das Leuchten nicht mehr( spüre ich den Schmerz nicht mehr)aber der Motor ( der Körper) ist irgendwann im Eimer weil die Ursache für das Leuchten ( den Schmerz) nicht beseitigt wurde
Mag vielleicht profan erscheinen ist aber für Patienten sehr anschaulich und verständlich.

Geschrieben

Schönes Beispiel - Wobei ich mit der These des Schmerzspritze setzen nur soweit mitgehe, dass eine Schmerzspritze am weitergeleiteten (referded) Ort keinen Sinn macht und oft auch den Schmerz nichtmal temporär beseitigt (d.h. die Lampe ist oftmals garnicht zuklebbar) - jedoch eine gezielte Spritze an der tatsächlichen Lokalisation den Schmerzreiz unterbrechen kann.

Mfg Stephan

@Sula - bitte schicke mir mal ne kurze Nachricht mit ner gültigen Mailadresse von dir. - Danke -

Geschrieben

Aber will ich denn den Schmerzreiz unterbrechen? Man kann sich mit Analgetika betäuben und dann auf eine heiße Herdplatte fassen ohne dass man Schmerz spürt....ist das wünschenswert? Sollte man nicht lieber der Schmerzursache zu Leibe rücken und damit den Schmerz an sich beseitigen?!

Geschrieben

Aähm ja gut. Ich hatte grad nen bestimmten Fall vor Augen, bei dem die Ursache schon längst wieder ok ist, aber der Schmerz bleibt. Dann hilft ne Injektion an der Traumastelle oft Wunder um sekundär gereizte Stellen mal stumm zu bekommen und damit die Ursache für refered Pain zu nehmen.

Allgemein betrachtet hilft die Schmerzspritze nicht gegen das Trauma - logo.

In einem Teil der Fälle ist eine gemeinsame Therapie sinnvoll, um im schmerzarmen bzw schmerzfreien Bereich therapieren zu können.

Man sieht aber schon, dass Schmerz nicht gleich Schmerz ist. Die Ursache zu kennen ist in Verbindung mit weiteren Daten wie die Zeit des persistierens absolut entscheident für die Wahl der Mittel.

Mfg Stephan, der jetzt echt pennen geht ;)

  • 13 years later...

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Gast
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    • Hallo Gast, soweit ich mich entsinnen kann, gibt es eine Klinik in Hamm, die sich auf ISG -Instabilitäten spezialisiert haben. https://kmt-hamm.de/therapie/leistungsspektrum#ruckenschmerzen-schmerzen-im-bereich-der-wirbelsaule   Da kannst du mal nachfragen.   Bis dahin könntest du einen Beckengurt tragen, um den Beckenring zu stabilisieren. Ich habe mit diesem hier gute Erfahrungen gemacht: https://mikros-medical.de/Serola-Iliosakral-Gurt/FBM62040    
    • Gast Autsch
      Hallo zusammen,   ich habe gerade große Schmerzen im ISG-Bereich und kann kaum laufen.   Zum Hintergrund: In meiner ersten Schwangerschaft hatte ich (starke) Schmerzen, aber „nur“ im Illiosakralgelenk und nicht an der Symphyse selbst, so dass die vermutliche Lockerung nicht in Betracht gezogen wurde (und ich diese durch Dehnübungen lindern sollte, was natürlich kontraproduktiv war). Die Spontangeburt war wegen Sternguckerlage nicht einfach, es wurde mit einer Saugglocke gearbeitet und durch einen Gebärmutterhalsriss verlor ich viel Blut. Als dieser genäht werden sollte, gab es einen stechenden Schmerz. Ich konnte in der Folge nicht mehr laufen (die Beine anheben) und hatte starke Schmerzen. Im Krankenhaus wurde die Symphysenruptur nicht erkannt, erst ein niedergelassener Orthopäde diagnostizierte diese dann direkt nach Entlassung aus dem Krankenhaus.   Ich erhielt eine Orthese und Krücken, nach ca. sechs Wochen konnte ich wieder ohne Krücken laufen und die Schmerzen hatten sich reduziert. Später nach dem Abstillen verschwanden sie im Alltag nahezu ganz. Allerdings bekam ich jedes Mal wieder Probleme, wenn ich stärker belastete (Heben, steile An- und Abstiege u. ä.).   In meiner zweiten Schwangerschaft hatte ich von Beginn an starke Schmerzen, nach der Sectio verringerten sie sich zügig, aber nach stärkerer Anstrengung kommen sie nach wie vor immer wieder zurück. Normalerweise hilft etwas Schonung so, dass nach ein bis zwei Tagen wieder Ruhe einkehrt.   Ich habe dazu dieses Jahr erneut den Orthopäden aufgesucht. Dort erhielt ich Einlagen wegen eines Längenunterschieds meiner Beine und einen Zettel mit allgemeinen Übungen zur Stärkung des Rückens. Leider bringt dies nichts, im Gegenteil, aktuell habe ich extrem starke Schmerzen und eine deutliche Einschränkung meiner Beweglichkeit, schlimmer als jemals zuvor nach Ende der Schwangerschaften. Und dieses Mal weiß ich gar nicht so recht, warum. Die Schmerzen sind wieder nur, wie eigentlich immer, im Illiosakralgelenk, im Symphysenbereich spüre ich lediglich ein leichtes Ziehen. Aktuell liege ich hauptsächlich mit Kniekissen auf der Seite und habe einen Wärmegürtel an der schmerzenden Stelle, in der Badewanne war ich auch schon (mit Ach und Krach  ).   Was kann ich noch tun, damit es schnell wieder besser ist? Und sollte ich die Rückenlage bevorzugen?   Und wie finde ich jemanden, der sich damit gut auskennt? Nach der Ruptur wusste so gar keiner richtig, was das ist, der Orthopäde hat das nachschlagen müssen. In München gibt es wohl an der LMU Experten, ich wohne aber in NRW und das ist kaum machbar für mich.   Welche Übungen wären gut, um mittelfristig weniger Probleme zu haben?   Liebe Grüße und schon mal vielen Dank!
    • Hallo. Ich habe einen Patienten, ca. 55 Jahre mit einem Insult re Nov. letzten Jahres mit Hemiplegie li. Wahrnehmung ist gegeben und eine leichte Ansatzfunktion in der Schulter auch. Distal hatte er vor ca.2,oder 3 Monaten eine Muskelzuckung Kleinfinger und Daumen. Das Hauptproblem sind die Schmerzen in der li Schulter (sublux). Er läuft den ganzen Tag mit einer Orthese herum. Wenn man diese auszieht, äußert er bei minimaler Abduktion Schmerzen. Was kann ich tun bzw. was wären die nächsten Schritte, hänge ein bisschen in der Luft... Bis jetzt, ich war zweimal dort, habe ich ihm gesagt, er soll ein warmes Kirschkernkissen auflegen, da er auch Omarthrose hat. Übungen zur Mobilisation punctum fixum, mobile Schulter/Rumpf. Die Schiene hat er aber dabei an. Wischübungen am Tisch Ri Anteversion und schräg nach rechts oben. Er soll die Lagerungsschiene für die Finger (spastik) eine Stunde am Tag mind.tragen und 1-2Std. am Tag ohne Orthese sein. Zusätzlich hab ich die Muskeln mit Novafon behandelt. Vl. geht er nächste Woche wieder zur Infiltration. Sind meine Behandlungswege so richtig, zuerst Schmerzmanagement dann alles weitere, oder andere Reihenfolge? Wie lange soll er die Orthese, wenn er so Schmerzen hat, tagsüber tragen, Gewohnheit - Eigenaktivitätförderung? Kann man Wischübungen in Richtung Abd. machen? Wäre Johnstonesplintschiene indiziert oder besser mit einer Spiegeltherapie (Bewegungsanbahnung) starten? Was kann man noch machen bei schmerzhafter Schulter? Vielleicht kann mir jemand helfen  Vielen Dank! LG

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