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Schmerzphysiologie

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Stephan

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Deutung und Verständnis von Schmerz ist die Grundlage für fast 80% der physikalischen Therapien, denn nur wenige Krankheitsbilder verlaufen komplett schmerzfrei. Ist kausal gesehen der Schmerz natürlich absolute Alarmsituation im Körper, so kann er oft auch als Vorwarnzeichen oder sogar Therapieanstoß gesehen werden. Grund genug sich mit diesem Thema einmal näher auseinanderzusetzen.



=> Def. Schmerz
Schmerz ist eine subjektive Empfindung, die durch einen effektiven oder drohenden Gewebsschaden ausgelöst wird. Die tatsächliche Wahrnehmung ist abhängig von der genetisch festgelegten Neuromatrix (Reizbarkeitsmuster) des Einzelnen, das heißt wie schnell der Einzelne gegenüber dem Schmerzreiz sensibilisiert.



=> Lokalisationen

Schmerz wird von Patienten individuell und höchst unterschiedlich angegeben. Sehr deutig ist die Unterscheidung zwischen Lokalem Schmerz (Patient kann genaue Lokalisation anzeigen) und den oft diffusen ausstrahlenden Schmerzen.

a) lokal

b1) nicht lokal - fortgeleitet (referred pain)
- Auswirkungen über das gesamte betroffene Dermatom
- Aufgrund Läsionen nicht neuraler Strukturen
- führt zu nicht neuropathischem Schmerz

b2) nicht lokal - projeziert (projected pain)
- Auswirkungen über das gesamte betroffene Dynatom
- Aufgrund Läsionen neuraler Strukturen
- führt zu neuropathischem Schmerz mit Chronifizierungsneigung

=> Reize für Nozizeptoren

Nozizeptoren (Schmerzrezeptoren) können auf die verschiedensten Reize reagieren. Für die Schmerzphysiologie unterscheidet man unter 3 Hauptgruppen der Reize:

chemisch
=> endogen Noxen (zb. Harnstoff)
=> exogene Noxen (zb. Alkohol)

thermisch
=> Wärme
=> Kälte

thermomechanisch (mechano heat nociceptures)

mechanisch
=> Druck
=> Zug

Verteilung: in der Peripherie befinden sich die meisten Nozizeptoren in der Haut >> Gelenk >> Muskel
(daher werden Reizungen der Haut am schnellsten und deutlichsten visualisiert)

=> afferente Schmerzleitung

Haut / Gelenk / Muskel
(Reiz - Stimulus)
|
Aktionspotential
(Transduktion des Reizes in el. Impulse)
|
Afferente Bahn
(Transmission des Reizes)
|
Spinalganglion
(Reizleitung und evtl. Neuropeptidfreisetzung (Substanz-P und CGRP) )


=> schmerzphysiologisch relevante Faserarten:
A-Delta Fasern (schnellleitend)
reagieren vorwiegend auf thermische oder mechanische Reize

C-Fasern (langsamleitend)
reagieren vorwiegend auf chemische Reize

Praktisch bedeutet das, dass Reize wie extreme Temperaturen (Herdplatte ;) oder extreme Läsionen (Verletzungen der Haut) sofort über A-Delta Fasern geleitet werden und dies auch zu sofortiger Reaktion führt. C-Fasern dagegen werden erst durch chemische Reize aktiviert. Diese führen zur Schmerzsensibilisierung aufgrund chemischer Substanzen, wie zum Beispiel die Neurotransmitter, deren Ausschüttung von den Spinalganglien initiiert wird (siehe Schmerzsensation).


=> Verschaltung im Rückenmark

Das Hinterhorn des Rückenmarks wird in Lamina aufgeteilt. Für die Verschaltung von Schmerzreizen sind Lamina I (direkt am Eintritt des peripheren Nerv in die Substatia grisea) und die Lamina V (am Übertritt des Hinterhorns in den RM-Corpus) interessant.

Lamina I: direkte monosynapische Verschaltung thermomechanischer Aktionspotentiale, die über A-Delta (schnell) Fasern geleitet werden. Eintreffende Impulse werden also 1:1 auf aufsteigende RM-Bahnen verschaltet und können sofort über die Neuromatrix wahrgenommen werden. Durch die direkte Verschaltung ist es problemlos möglich den Schmerz genau zu lokalisieren (zb.bei einem akuten Trauma).

Bsp. bei Berührung einer heißen Herdplatte wird ein Wärmereiz sofort als Schmerz wahrgenommen und es kommt zu einer prompten Reaktion.

Lamina V: polysynaptische Verschaltung von C-Fasern (langsam, meist chemisch) geleiteten Reizen an WDR-Interneuronen („wide dynamic range“) im Rückenmark. Erst nach einer Reizsummation werden diese von der Neuromatrix wahrgenommen.


Entstehung der reaktiven Entzündung:

Neurotransmitter - Ausschüttung durch Impulsleitung durch Spinalganglion:

=> Schmerz (Dolor) als Initiator => Ausschüttung von CGRP und Substan P

CGRP: stimuliert Ateriolen
=> Hyperämie (Rubor)
=> Hyperthermie (Calor)


Substanz-P: stimuliert Venolen
=> erhöht Gefäßdurchlässigkeit (Tumor)

Es kommt zu den typischen Entzündungszeichen
=> Dolor (ursächlich) + Calor (ateriell) + Rubor (ateriell) + Tumor (venös) => Functio Laesa (resultativ)


=> Schmerzsensationen



In der Übersicht wird deutlich, dass jede Läsion, egal ob drohend oder effektiv zu einem lokalen Sofortschmerz führt. Ob dieser Wahrgenommen wird ist individuell und richtet sich nach der Art der Läsion und der individuellen Reizschwelle (siehe auch: neurogene Entzündung) Unterschiede zeigen sich erst im weiteren Verlauf. Während drohende Läsionen keine weiteren Symptome zeigen, führen effektive Läsionen über Neurotransmitterausschüttungen zu fortgeleiteten Schmerzen (referred pain), der sich als diffuser Nachschmerz äußert.

=> Periphere Sensibilisierung:
Anpassung der Neuromatrix, wobei ein gleicher adäquater Reiz zu einer deutlicheren Wahrnehmung führt => mehr Schmerz

=> thermisch (Schmerzlinderung durch kühlen, da Inhibition der C-Fasern)
=> bei effektiven Läsionen führt bereits die 37° Körpertemperatur zur Reizung der Thermoceptoren => Ruheschmerz

=> mechanisch (Zuschaltung von „silent nociceptures“ - stille Noziceptoren)
=> mehr Rezeptoren
=> Reizsummation schneller erreicht => frühere/schnellere Wahrnehmung


Neurogene Entzündung:
Nicht jeder Schmerzreiz wird letztlich effektiv wahrgenommen. Zum Beispiel können traumatische oder degenerative Sehnenabrisse (zu wenig Nocizeptoren =>
Nichts desto trotz wird vom Spinalganglion die Neurotransmitter zur chronischen Schmerzentstehung ausgeschüttet (Substanz-P und CGRP).
=> kein Sofortschmerz aber Nachschmerz


Zentrale Sensibilisierung:
Bei zentralen Neuronen wird die Reizschwelle herabgesetzt und auch mechanische Reize benachbarter Strukturen werden (diffus) der gleichen effektiven Läsion zugeordnet

=> Ausbreitung der rezeptiven Felder

=> Allodynie (= erhöhte mechanische Empfindlichkeit außerhalb der Läsion)
=> ursprüngliche Läsion löst weitere entfernte Schmerzen aus
(mechanische Therapie Kontraindiziert!)


Referred Pain:
RP kann durch jegliche neural versorgte Strukturen ausgelöst werden (zb. Gelenke, Muskeln, Bursae, Haut, Periost, ..) - jedoch keine Nervenschädigung(!)

=> kein neuropathischer Schmerz

proximale Strukturen > distale Strukturen
tiefe Strukturen > oberflächliche Strukturen
=> nach distal im gleichen Dermatom ausstrahlender diffuser, brennender, langsam auftretender Schmerz


Projected Pain:
PP ist ein durch Nervenläsionen entstehender, nicht an Dermatom-Grenzen haltender, auch nach proximal austrahlender und deutlich diffuserer Schmerz (im Dynatom verlaufend).

=> neuopathischer Schmerz


Mfg Stephan Schmied

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  • 3 weeks later...
  • 4 months later...

Hier vielleicht noch ein einfaches Beispiel, um Patienten deutlich zu machen, warum der Schmerz nicht immer da ist, wo seine Ursache ist: Ich vergleiche den Körper kurzfristig mit einem Auto ;-) : wenn bei einem Auto die Öllampe leuchtet ( ein Warnsignal analog des Warnsignals Schmerz im Körper) dann wechselt der Fahrer ja auch nicht die Öllampe aus sondern er weiß, dass die Ursache für das Leuchten ganz woanders liegt. Man kann das Ganze noch weiterspinnen, indem man sagt, wenn ich jetzt die Öllampe zuklebe ( analog: eine analgetische Spritze setze) , sehe ich zwar das Leuchten nicht mehr( spüre ich den Schmerz nicht mehr)aber der Motor ( der Körper) ist irgendwann im Eimer weil die Ursache für das Leuchten ( den Schmerz) nicht beseitigt wurde
Mag vielleicht profan erscheinen ist aber für Patienten sehr anschaulich und verständlich.

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Schönes Beispiel - Wobei ich mit der These des Schmerzspritze setzen nur soweit mitgehe, dass eine Schmerzspritze am weitergeleiteten (referded) Ort keinen Sinn macht und oft auch den Schmerz nichtmal temporär beseitigt (d.h. die Lampe ist oftmals garnicht zuklebbar) - jedoch eine gezielte Spritze an der tatsächlichen Lokalisation den Schmerzreiz unterbrechen kann.

Mfg Stephan

@Sula - bitte schicke mir mal ne kurze Nachricht mit ner gültigen Mailadresse von dir. - Danke -

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Aber will ich denn den Schmerzreiz unterbrechen? Man kann sich mit Analgetika betäuben und dann auf eine heiße Herdplatte fassen ohne dass man Schmerz spürt....ist das wünschenswert? Sollte man nicht lieber der Schmerzursache zu Leibe rücken und damit den Schmerz an sich beseitigen?!

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Aähm ja gut. Ich hatte grad nen bestimmten Fall vor Augen, bei dem die Ursache schon längst wieder ok ist, aber der Schmerz bleibt. Dann hilft ne Injektion an der Traumastelle oft Wunder um sekundär gereizte Stellen mal stumm zu bekommen und damit die Ursache für refered Pain zu nehmen.

Allgemein betrachtet hilft die Schmerzspritze nicht gegen das Trauma - logo.

In einem Teil der Fälle ist eine gemeinsame Therapie sinnvoll, um im schmerzarmen bzw schmerzfreien Bereich therapieren zu können.

Man sieht aber schon, dass Schmerz nicht gleich Schmerz ist. Die Ursache zu kennen ist in Verbindung mit weiteren Daten wie die Zeit des persistierens absolut entscheident für die Wahl der Mittel.

Mfg Stephan, der jetzt echt pennen geht ;)

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  • 13 years later...

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    • Moin Moin,   nochmal danke für eure ganzen Hilfen.   Das Thema ist noch aktuell und etwas besser geworden. Mittlerweile ist das Ganze (auch ohne Diagnose vom Arzt) etwas klarer geworden.   Es existiert ein Ziehen im Leistenbereich, in der Hüfte. Der Oberkörper will nach vorne. Eigenrecherche nach deutet alles auf den mächtigen Hüftbeuger hin.   "Recherchen zufolge verspannt der untere Rücken reflexartig um den Körper aufrecht zu halten. Würde zu 100% passen. Auch die Rückenverspannung ist weg wenn der Hüftbeuger gedehnt wird."   Mache ich Übungen, so wird es besser. Es gibt dann sogar befreiendes Knacken und befreiende Gefühle, vor allem im Nacken. Das sind echt starke positive und nervöse Gefühle, die auf einmal kommen. Ich bin kein Esoteriker, aber ich habe von "Stresshormonen" gelesen. Und leider stimmt es. Sogar der Nacken wird dann den ganzen Hüftübungen wieder mobiler,was ja anfangs mein Hauptziel war. Es wird immer besser. Diese Stresshormone sind schon extrem. Dazu (ich hoffe es kommt daher) auch mal missempfindungen wie ein klein wenig übelkeit oder ziehen im Kiefer. Alles aber eher angenehm.   Als Sport mache ich auch noch Klettern (Bouldern) Dort springt man vom oben oft ab und streckt das Knie beim Absprung nicht durch, sodass die Hüften viel abfangen.   Es kann gut sein, dass dieser Hüftbeuger durch falsches Sitzen (jahrelang) verkürzt ist. Probleme mit Beinanhebung gibt es ja auch. Seitliches Beinanheben ist schwergängig. Karatekick gar nicht möglich.   Derzeit stehe ich (ca. 3 Stunden) beim Arbeiten am PC: Das geht, man merkt aber schon, dass Oberschenkel und Hüfte arbeiten, sich am Liebsten wieder setzen würden.   Hatte jemand von den Therapeuten hier schon einmal Kontakt zu Leuten,die das gleiche Problem hatten?   Ich schaue mir alle möglichen Übungen auf Youtube ab. Gerade Ausfallschritt (und dann nach hinten lehnen) hilft enorm,ist hardcore. Aber schwer zu halten. Für zusätzliche Übungs-Tipps wäre ich dankbar.   Auch gibt es so wenig Lesestoff zum Thema "Nacken" und die Verbindung zur Hüfte und mögliche Beschwerden. Lediglich im englischsprachigen Yoga-Internet "Your Neck is your Psoas". Aber es muss stimmen. Ich würde abe rgerne die Mechanismen des Körpers durchblicken.   Gelesen habe ich mal, dass es ein Ungleichgewicht gibt und der Nacken Reflexartig verspannt um Auszugleichen.   Hochspannendes Thema, ich finde aber wenig darüber.
    • Hallo bbgphysio und vielen Dank für die schnelle Antwort,   ich hatte mich nur erschreckt, weil dieses komische Gefühl dazu kam. Das kenne ich so nicht. So, als wenn ein Muskel oder eine Sehne über irgendetwas drüberrollt. Deswegen hatte ich mich wohl reingesteigert, dass das ein Fremdkörper ist, der da gewachsen ist. Ist dieses Gefühl denn auch typisch, für meine Beschwerden? Sind das verspannte Muskeln? Das komische ist, dass, wenn ich es provoziere, dieses Schnappgefühl dazu beiträgt, dass es besser oder auch schlechter wird. Also, wenn ich eine Bewegung mache und merke, jetzt kommt der Schmerz, dann ist nach diesem Schnappen auch gut. Und andersherum, wenn ich merke, es ist alles in Ordnung und setze mich langsam hin kommt das Schnappen und der Schmerz ist da. Aber nie lange. Nach ein paar Sekunden ist auch wieder gut.
    • Guten Morgen Sonnenstern! Mach dir keine Sorgen, Ich glaube nicht daß du einen Tumor hast und auch nicht daß deine Beschwerden von den oben genannten Diagnosen kommen. Auch Hüfte kann man erfahrungsgemäß ausschließen. Da wäre am besten dir ein Rezept zu holen für Physiotherapie. Ich würde mir z.b. auch mal das ISG anschauen, Iliosacralgelenk. Eine Blockade in dem Gelenk kann manchmal solche Beschwerden in Hüfte und Beine verursachen. Das kann aber nur eine Kollegin oder Kollege mit einer Zusatzausbildung zur Manuellen Therapie herausfinden. Ist dies ausgeschlossen scheint es ein rein muskuläres Problem von der Geßäßmuskulatur zu sein daß durch eine Massage gut in den Griff zu bekommen ist. Würde ein Nerv eingeklemmt sein, also in dem Bereich der Ischiasnerv dann hättest einen Schmerzen, krippeln, Taubheitsgefühle ins Bein. Was du selbst tun kannst ist zb. mit einem Massageball, Tennisball die Stelle selbst massieren. Am besten du stellst dich dabei seitlich zur Wand und klemmst den Ball zwischen der schmerzenden Stelle und Wand ein und einfach Druck ausüben den du hältst.    l.g.

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